Not sehen und sich berühren lassen

Impuls zu Ijob 7,1-4.6-7 und Mk 1,29-39

Hilfe in Trauer (c) Bild: Pia Schüttlohr In: Pfarrbriefservice.de
Von:
(Beatrix Hillermann)

Da haben wir zwei entgegengesetzte Texte gehört. Ijob ist ganz und gar erschüttert von seinem Leid. Theologische Reflexionen und wohlfeile Ratschläge, die vorher im Text beschrieben wurden, haben sein Leid nur größer gemacht. Als die Freunde ihm gar das Recht zu klagen bestreiten, hält Ijob es nicht mehr aus und wendet sich direkt an Gott. Es ist ein düsteres, hoffnungsloses Bild, das Ijob vor seinem Gott ausbreitet. Ijob fühlt sich in einem Teufelskreis gefangen. Mit den Tagen verschwindet die Hoffnung Ijob spürt und sieht keine Perspektive mehr. Irgendwann, so ist zu befürchten, hat Ijob nicht einmal mehr Worte für sein Leid.

Kennen Sie solche Situationen, in denen das Leid sie völlig wegspült? Ich habe als junge Frau häufiger die Erfahrung gemacht, dass mich Konflikte in der Familie oder leichte Überforderungen mit Ängsten und Einsamkeiten aus meiner Kindheit in Kontakt brachten und ich über lange Zeit überhaupt nicht aufhören konnte zu weinen. Das war ein Gefühl von völlig weggespült werden, keine Perspektive mehr zu sehen, ohnmächtig zu sein. Gott sei Dank nur für einige Stunden oder mal einen Tag. Lange Katastrophenzeiten wie schwere Krankheit, Krieg oder Hunger kenne ich bisher nicht. Den Menschen in Gaza, in der Ukraine und in den anderen Katstrophenorten dieser Welt ergeht es da ganz anders. Sie müssen Grenzen, Schmerz, Leid, Angst, Hunger und Tod erleben und sind vermutlich oft wie Ijob am Ende ihrer Möglichkeiten.

Ein ganz anderes Szenario erleben wir im Evangelium. Da gibt es zwar auch eine kranke, leidende Frau, aber keine Reden und keine Vertröstungen, Jesus lässt sich ansprechen und anrühren vom Leid der Frau. Im wahrsten Sinne des Wortes lässt er sich berühren. Er übertritt dabei gesellschaftlich vorgesehene Grenzen. Für einen Mann seiner Zeit, auch wenn er ein verehrter Rabbi war, war es keineswegs üblich, einfach in den Bereich der Frauen zu gehen und sie dazu noch zu berühren. Jesus verletzt die kulturell geltenden Gesetze, weil er sich von der leidenden Frau anrühren lässt. Jesus sieht den leidenden Menschen, nimmt ihn oder sie wahr mit all den Grenzen oder auch Möglichkeiten, die einen Menschen auszeichnen. Er verurteilt nicht, er gibt keine Ratschläge und macht keine theologischen oder moralischen Deutungen. Er ist da, schaut an, berührt und heilt.

Viele Menschen kommen, um sich heilen zu lassen, die Nähe dieses Rabbi ist lebenspendend. Aber er möchte nicht, dass seine Mission bekannt wird. Wenn er als Messias, (übersetzt) als Erlöser und Befreier aus religiöser oder sozialer Unterdrückung bekannt wird, dann ist es schnell um ihn geschehen. Das sind die Dämonen, die die Menschen besetzten, die ihm dem Heiler und Heilsbringer das Leben kosten können. Und das war nicht nur zur Zeit Jesu so, sondern das ist bis heute so. Die Dämonen der Macht und der Gier nach Land; nach Herrschaft und Geltung oder die Dämonen der Angst halten die Menschen bis heute in ihrer Gewalt. Sie sorgen dafür, dass Menschen sich hart machen oder hart werden, anderen Leid zufügen in Form von körperlicher oder psychischer Gewalt oder im Anzetteln von Kriegen. Sie sorgen dafür, dass Menschen anderen das Existenzrecht absprechen oder meinen sie müssen andere aus dem Land treiben, die nicht ihren Normen entsprechen. Das erleben wir im Auftreten der AFD und ihrer rechten Verbündeten, die unserem freien Land, ihren rassistischen Stempel aufdrücken möchte. Die Dämonen grenzen aus, werten ab und verbreiten Unheil.

Jesus öffnet Grenzen und überschreitet sie auch um heilsam für andere zu sein. Jesus sieht an, berührt und lässt sich berühren. Die Not der anderen lässt ihn nicht kalt und dafür überschreitet er Grenzen und setzt sich ein, Not zu überwinden.

Ich glaube, nur das ist die Möglichkeit dem leidenden Ijob zu begegnen. Es gilt, den leidenden Menschen, wahrnehmen, ihn gerade nicht mit frommen Floskeln zu vertrösten, ihn zu sehen so wie er ist, ihn zu berühren und bei ihm auszuhalten, Not zu lindern und den Leidenden zu helfen für das Leid Worte zu finden. Dann kann vielleicht irgendwann Hoffnung einziehen und mit der Hoffnung kann Heilung geschehen und Heilung ist der Schritt zu neuem Leben.