Impuls:Einander verstehen – ein Impuls zum Pfingstfest

Ich habe neulich bei einer Beerdigung eine beeindruckende Erfahrung gemacht. Eine alte Dame war zu bestatten, Mutter von zwei Töchtern. Mit einer Tochter und ihrem Mann führte ich das Trauergespräch. Es wurde deutlich, dass meine Gesprächspartnerin die Tochter der großen Liebe dieser Frau war. Als sie wenige Jahre alt war, starb ihr Vater durch einen Unfall. Übrig blieb die Witwe alleine mit zwei Töchtern, der eine Tochter aus einer schwierigen Ehe, die mit Trennung endete, der andere Tochter eben Kind ihrer großen Liebe, die mit Tod endete. Der Mutter war es in ihrem eigenen Leid nicht gelungen, beiden Töchtern ausreichend Liebe und Verständnis entgegen zu bringen. Sie können sich denken, was dann passiert - Streit, Kontaktabbruch. Dennoch, es war klar, dass auch die andere Tochter mit auf die Beerdigung gehörte. Und nachdem die Urne in die Wand gesetzt war, gingen die Töchter gemeinsam nach vorne, die Hände suchten sich, eine Umarmung – zum Schluss standen beide Familien Arm in Arm vor der Stelenwand – ich war tief berührt. Verständigung – Pfingstwunder –
Was war die Voraussetzung. Die beiden Töchter hatten ihr Herz nicht hart gemacht (mit dem rede ich nie wieder) und sie hatten versucht, die Situation der jeweils anderen zu verstehen. Die Freunde und Freundinnen Jesu in unserem Lesungstext hatten sich mit Jesu Kraft, mit seinem guten Geist verbunden. Und das erste und eindrücklichste, was sie spüren, war eben auch, dass sie sich verständigen können: „denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden“ Nun ist das nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen. D.h. ich kann plötzlich verstehen, warum die nervende Kollegin so anstrengend ist oder warum der blöde Nachbar so einen Ärger in mir auslöst. Ich kann die Andersartigkeit der Migranten nachvollziehen und interessiere mich für ihre Kultur und für ihr Anderssein. Dem Geist Jesu folgen heißt, Verständigung suchen, sich in die Schuhe des anderen begeben, wie es eine alte indigene Weisheit sagt. Die junge Kirche musste sehr schnell ernst machen mit dieser Fähigkeit. Die Apostelgeschichte berichtet ja über viele Kapitel von dem Streit, in dem es darum ging, ob Menschen, die keine Juden waren, auch mit zu dem neuen Glauben kommen durften. Die offenen, die die sich auf Neues einlassen konnten, haben schließlich diesen Streit gewonnen. Die sogenannten Heiden durften Christen werden, ohne dass sie die jüdischen Vorschriften annehmen mussten. Auch heute geht es meiner Wahrnehmung nach in den vielen Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche , um diese Frage: sind wir „closed shop“ für die Rechtgläubigen oder machen wir Arme und Herzen auf für die Entwicklungen in dieser Welt und heißen die unterschiedlichsten Menschen willkommen: Die, die nur unseren Segen an bestimmten Lebenswenden möchten; die Menschen unterschiedlichster sexueller Orientierung, Menschen in unterschiedlichen Lebensformen, Menschen mit Anfragen an bisherige theologische Überzeugungen, Menschen in Armut und sozialer Bedrängnis.
Diese Frage stellt sich im Moment aber nicht nur in der Kirche, sondern ganz radikal in der Politik. Politik im Geist Jesu sucht Verständigung zwischen Ost und West, zwischen Armen und Wohlhabenden, zwischen Einheimischen und Migranten und zwischen den unterschiedlichen Völkern. Politik im Geist Jesu kann niemals die Heimatlosen vor der Tür stehen lassen oder das eigene Land mit seinen Interessen vor die Interessen aller anderen setzen. Politik im Geist Jesu kann niemals mit Gewalt die eigenen Interessen durchdrücken wie Russland in der Ukraine oder in der Verteidigung in Hass und Maßlosigkeit verfallen wie Israel in Palästina.
Jesus selber ist in seinem Leben den unterschiedlichsten Menschen wertschätzend begegnet. Da waren die aus anderen Völkern, da waren Schuldbeladene, Kranke und Arme und da waren immer wieder viele Frauen, denen er sich, entgegen der Vorschriften seiner Zeit, intensiv zugewendet hat. Sich mit Jesu Geist verbinden, heißt, offen vielfältig und bunt zu sein und sich immer wieder in die Sprache und Schuhe der anderen zu begeben, um sich zu verstehen. So wünsche ich Ihnen , dass Sie immer wieder zu pfingstlichen Ereignissen beitragen können und dass ihnen pfingstliche Ereignisse begegnen, nicht zwingend mit Brausen und Feuerzungen, sondern mit der Bereitschaft, einander zu verstehen.