Wenn heiliger Raum überschritten wird

Impuls zu Joh 2, 13-25 und Ex 20,1-3.7-8.12-17

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Von:
(Beatrix Hillermann)

Kennen sie solche Situationen, wie sie eben von Jesus beschrieben wurde, in denen sie so richtig aus der Haut gefahren sind? In denen der Ärger sie laut werden lässt und vehement?  Ich erinnere mich an eine Tagung im letzten Jahr zum Thema „assistierter Suizid“, zu der die Bischofskonferenz­­­ Fachleute aus der Praxis eingeladen hatte und zwei Bischöfe waren dort, um zu hören und mit zu diskutieren. Bei der Abschlussrunde fragte der Moderator die Anwesenden auf dem Podium, was sie denn tun würden, wenn ihnen ein schwerkranker Mensch auf dem Krankenbett sagen würde, er wolle nicht mehr leben. Einer der Bischöfe sagte, er würde den Kranken daran erinnern, was er denn seinen Angehörigen damit antun würde. Ich war fassungslos über die Antwort. Über Jahre hatte ich mit meinen Hospizbegleiterinnen geübt und gelernt, dass es darum ging bei der Not der Menschen anzusetzen und immer wieder zu schauen, was brauchst du in deiner Situation, in deinem Leid? Was bringt dich zu so einer Aussage? Was willst du mir damit sagen? Der Bischof ging über die Not des Patienten weg und versuchte sein Dogma, dass man sich nicht das Leben nehmen darf über die Frage nach den Angehörigen an den sterbenskranken Mann oder die sterbenskranke Frau zu bringen. Ich habe geschimpft und mich aufgeregt, mein Kollege sagte immer wieder beschwörend, „Bea reg dich nicht so auf“.

Was war passiert? Da gab es etwas, was mir heilig ist, diese Haltung, die wir hospizliche Haltung nennen oder ich nenne sie auch die jesuanische Haltung „ich wende mich der Not der Menschen zu und interessiere mich dafür“ „ ich stelle meine Überzeugungen erst einmal zurück und frage, was der andere braucht“ Was willst du, dass ich dir tue, sagt Jesus. Diese respektvolle, fragende Haltung wurde von dem Bischof mit Füssen getreten, der dann aber später mit Seinesgleichen die kirchlichen Vorgaben zum assistierten Suizid formulieren wird, an die wir als Seelsorgende uns dann wohlmöglich noch halten sollen. Nach meiner Wahrnehmung hatte er gar nichts von dem verstanden, was die Not von schwerkranken Menschen ausmacht.

So ähnlich stelle ich mir das auch bei Jesus vor. Die Handelnden haben nichts von dem verstanden, was ihm heilig ist. Wir finden in dem Text zwei Ebenen, einmal geht es um den Tempel als Ort. Bei der Abfassung des Johannesevangeliums war der Tempel wohl schon einige Jahrzehnte zerstört und existierte gar nicht mehr. Dennoch greift der Erzähler auf das Bild des Tempels zurück. Vielleicht wollte er den Bezug zur hebräischen Bibel herstellen mit dem Zitat In der Mitte des Textes: „Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: der Eifer für dein Haus wird mich verzehren.“

Vielleicht wollte er aber auch mit dem Rückgriff auf den Tempel deutlich machen, dass Jesus dieser Ort der Gottesbegegnung heilig war. Dass er überhaupt nicht hinnehmen wollte, dass Rinder, Schafe, Tauben und Geldwechsler von dem eigentlichen Sinn des Tempels ablenken. Jesus wird hier vehement und deutlich: „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markhalle!“

Dann kommt plötzlich und nicht ganz einfach verstehbar eine andere Ebene ins Spiel. Jesus spricht vom Tempel seines Leibes. In einem Bild „“Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.“ macht er deutlich, dass er nicht im Tod bleiben wird. Wie der steinerne Tempel Ort der Gottesbegegnung war, wird jetzt sein Leib zum Ort der Gottesbegegnung. An seinem Sterben und seiner Auferstehung wird deutlich, dass Gott für uns das Leben will auch in den Totalkatstrophen von Leid und Scheitern.

Jesus selber ist in seinem menschlichen Leib Prototyp der Gottesbegegnung. Aus seinem Leben und Sterben dürfen wir aber ableiten, dass uns in jedem Menschen Gott begegnen kann. In jedem Menschen, der sein Leben an den Ideen ausrichtet, die Gott für die Menschen hat, ist Gott auch lebendig.  In der Lesung des Buches Exodus wurde uns einiges vorgestellt, was wir Menschen heilig halten sollten:  In den Beziehungen, in denen wir leben, Verantwortung übernehmen, sowohl den Eltern als auch dem Partner, der Partnerin gegenüber; mit Leben und Gut der Nächsten respektvoll umgehen, Gottes Namen nicht missbrauchen und den Ruhetag heiligen. Mit dem Blick unserer heutigen Zeit würde ich ergänzen, die Fähigkeit, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zu besprechen und um Frieden zu ringen; der Versuch jeden Menschen aus seiner Lebensgeschichte heraus zu verstehen, Zuwendung zu Schwächeren und die Bereitschaft für Gerechtigkeit zu sorgen. Und für mich gehört zu der Gottesbegegnung im Anderen auch der absolute Respekt vor dem Leid und der Not der Menschen. Da wo Menschen ihre Verzweiflung und ihre Grenzen äußern, eventuell auch mit der Aussage „ich will dieses Leben nicht mehr“, da geht es erst einmal darum zu hören und zu verstehen und dann gemeinsam mit dem Leidenden nach Lösungen zu suchen. Gott kommt mir gerade oft im Leidenden entgegen. Nach meiner Wahrnehmung bekommt er aber keinen Raum, wenn wir den leidenden Menschen begegnen mit vorgefertigten moralischen Urteilen, ohne Bereitschaft sich in ihre Situation zu versetzen wie der Bischof bei der Tagung im letzten Jahr. Dann verstellen wir die echte Begegnung mit diesem Menschen und geben Gott keinen Raum zwischen uns, so wie damals der göttliche Raum im Tempel von Geldwechslern und Viehverkäufern verstellt wurde. Und darüber darf man, wie Jesus damals, durchaus ärgerlich werden.