Impuls:Über den Tod hinaus – in Verbindung bleiben

Im Studium traf ich dann auf die Frage, Himmel, Hölle, Fegefeuer, Gericht, was heißt das eigentlich? In der modernen Theologie werden diesen alten Bildern, die häufig mit Ängsten verbunden sind, neue Ideen entgegengesetzt. Ich erinnere mich an eine theologische Idee, die hieß: im Tod kommt uns Gott mit seiner ganzen Liebe entgegen und Gericht heißt dann, ich spüre trotz der tiefen Zuneigung Gottes schmerzhaft, wo ich diese Liebe in meinem Leben verweigert habe. Das ist für mich ein nachvollziehbares Bild. Ich kann mich an eine Situation in meinem Leben erinnern, wo ich jemand massiv verletzt habe, die Liebe des anderen mit Füssen getreten habe und ich erinnere mich noch sehr an das Gefühl von Schuld und Scham als ich für mich verstand, wie sehr ich die andere Person verletzt hatte.
So könnte ich mir vielleicht auch göttliches Gericht vorstellen. Nun wissen wir aber aus der Psychologie, dass wir so frei, wie die Theologie uns Menschen manchmal dargestellt hat, nicht sind. D.h. mit der Frage, wer ist denn nun wirklich Böse und wer hat Schuld, ist es nicht so einfach. Eine Freundin von mir hat viele Jahre als Seelsorgerin im Gefängnis gearbeitet. Ein großer Teil der Sexualstraftäter war selber als Kind missbraucht worden. Derjenige, der nie einfühlsam und empathisch behandelt wurde, kann auch Einfühlsamkeit und Empathie nur sehr schwer lernen. Wer Gewalt erfahren hat, gibt oft Gewalt weiter. Leben ist vielfach gebrochenes oder manchmal auch zerbrochenes Leben. Von solchen gebrochenen, belasteten Leben handelt die Bibel. Das Leben von Ijob ist ganz und gar zerbrochen. Von einem Tag auf den anderen verliert Ijob alles, was ihm lieb und teuer ist, völlig ohne irgendeine Schuld. Vielleicht so ähnlich wie es die Menschen in der Ukraine erleben, ohne dass sie etwas getan haben und ohne dass sie es beeinflussen können, werden ihre Häuser in Schutt und Asche gelegt und liebste Menschen getötet. Eine Komplett - Katastrophe wie bei Ijob. Ijob hören wir in der Lesung aber dennoch sagen „mein Erlöser lebt“.
Diese Hoffnung, dieses „aber dennoch“ durchzieht
die Bibel wie ein roter Faden. Ich glaube, wir können nur glücklich und beruhigt leben, wenn wir in diesem „aber dennoch“ bleiben. In einem Trauergespräch neulich warf mir eine Klientin mit Wut an den Kopf. „Was ist das für ein Gott, der Kinder sterben lässt, der diesen schrecklichen Ukraine Krieg zulässt und die Katastrophen, die der Klimawandel mit sich bringt?“ Ja, die Weltsituation und das eigene Leid, kann einen verzweifelt machen. Die Menschen in der Bibel haben auch oft mit Gott gerungen „was bist du für ein Gott, der das alles zulässt?“ Ich glaube Gott ist nicht derjenige, der irgendwo im Himmel sitzt und an den Strippen zieht, dem einen viel Leid zuteilt, dem anderen wenig. So einfach ist das nicht, das gäbe keinen Sinn. Ich glaube, dass Gott uns in Jesus Christus ein Lebenskonzept gegeben hat. Wenn wir das alle leben würden, sähe es in der Welt schon anders aus. Da heißt es unter anderem „die Schwachen schützen, das Brot teilen, Gastfreundschaft üben, keine Gewalt anwenden, die Schöpfung schützen und sich den Kranken heilend zuwenden. Vermutlich würden wir beim Suchen noch weitere Beispiele finden. Diese Werte werden in der Bibel immer wieder eingeklagt und auch bei Nichteinhaltung mit Gericht und Strafe bedroht, um dem jeweiligen Wert Nachdruck zu verleihen. Ich denke, manch einer richtet sich in seinem Tun hier schon selber und auch das ist mit dem göttlichen Gericht gemeint.
Doch auch wenn wir uns um ein Leben bemühen, dass an Jesu Werten orientiert ist, haben wir keine Zusage bekommen, dass wir vom Leid verschont bleiben. Jesus selber ist aber bis in die Katastrophe des Todes mit den Menschen solidarisch gewesen. Er ist ins tiefste Leid gegangen, aber die Bibel erzählt in wunderbaren Geschichten, dass es nicht beim Tod geblieben ist. „Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.“ so hieß es gerade im Evangelium. Und das ist unsere Hoffnung, die wir heute an Allerseelen feiern. Wir glauben und hoffen, dass unsere Toten bei Gott aufgehoben sind, dass sie vielleicht jetzt in Gottes Nähe, die die Liebe ist, das erfahren, was ihnen hier gefehlt hat. Wir glauben und hoffen, dass wir mit unseren Toten in Verbindung sein dürfen, im Sprechen über sie, im Denken an Sie und in der Freude über glückliche gemeinsame Momente. Ich lerne da viel von den Trauernden, die zu uns ins Trauerzentrum kommen. Ich denke an eine Mutter, die ihren erwachsenen Sohn an Krebs verloren hat. Sie hat ihn intensiv in den Tagen des Sterbens begleitet und erzählte neulich, dass sie ihn einen kurzen Moment neben sich gesehen habe und seine Nähe gefühlt habe. Das wünsche ich Ihnen, dass sie Ihre Verstorbenen immer wieder spüren und sich mit Ihnen auch über den Tod hinaus verbunden fühlen. Eine Form der Verbindung ist das Gebet. Und im Gebet wollen wir heute hier mit unseren Verstorbenen in Verbindung sein.
Beatrix Hillermann