Das sind ja mal deutliche Worte, die der Evangelist Matthäus uns von Jesus überliefert. Er geht mit den Herrschenden der damaligen Zeit ordentlich ins Gericht.
Dabei macht der Text deutlich, dass es nicht darum geht Leitung oder Anleitung grundsätzlich zu kritisieren (tut und befolgt alles, was sie euch sagen), sondern es geht darum religiöse Herrschaft zu kritisieren, die anders handelt als sie predigt.
Religiöse Herrschaft, die die Menschen mit Vorschriften und Anordnungen belastet, die nicht lebbar sind und die sie selber nicht leben kann. Religiöse Herrschaft, die sich mit ausdrucksstarken Gewändern schmückt und den Ehrenplatz beansprucht. Religiöse Herrschaft, die sich mit Ehrentiteln aufwertet bis hin zum „Heiligen Vater“
„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen“, sagt der Text, „denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder - und Schwestern. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.“
Von Missbrauch religiöser Leitung ist die Geschichte voll, in jeder Religionsgemeinschaft. Mit dem vermeintlichen Willen Gottes die eigenen Machtansprüche zu untermauern, setzt Menschen besonders unter Druck und führt so zu einer großen Bereitschaft zu gehorchen. Da kann man nicht nur das Leben hier verwirken, wenn man nicht gehorcht, sondern auch noch das im Jenseits.
In unserer Religionsgemeinschaft beschäftigen wir uns seit 10 Jahren mit sexuellem Missbrauch. Mindestens jede Woche steht in Aachen etwas dazu in der Zeitung. Es wird geredet und Konzepte werden geschrieben, manch einer möchte in der Öffentlichkeit als der beste Aufklärer gefeiert werden, aber die Grundlage dafür, dass so etwas passieren konnte, wird weiterhin nicht angesehen, obwohl sie in den frühen Studien sehr deutlich formuliert wurde: Sexueller Missbrauch ist die Folge von Machtmissbrauch. Da herrschen Kleriker über Laien, Männer über Frauen und Kinder. Und auch in den Sportvereinen, Schulen und Familien missbrauchen Menschen ihre Machtpositionen um sich an Kindern oder Abhängigen zu vergehen.
Macht muss kontrolliert sein. Systeme, egal ob religiöse oder staatliche Systeme, die einzelnen Personen eine unkontrollierte Macht geben, leisten Vorschub für jede Form von Machtmissbrauch. Wir Menschen sind da schnell verführbar und davon spricht das heutige Evangelium. Den ersten Platz zu besetzen, besondere Aufgaben übernehmen, die die Öffentlichkeit wahrnimmt; anderen Vorschriften und Lasten auflegen und dabei den eigenen Vorteil suchen, wie oft passiert das. Jede und Jeder, die Eltern sind, Vorgesetzte, Politiker oder vor allem auch religiöse Führer sind gefragt immer wieder zu hinterfragen, was treibt mich eigentlich an? Muss ich mich selber immer nach vorne stellen? Gehe ich respektvoll und wertschätzend mit denen um, die mir anvertraut sind? Da hilft es nicht von Demut und Dienen zu reden, sondern es geht um die Taten. Das sagt unser heutiger Text sehr deutlich.
Unsere modernen liberalen Staaten wissen um die Schwächen der Menschen, die sich oft allzu gerne wichtig und groß machen wollen und über andere erheben. Gewaltenteilung soll dem entgegenwirken. Niemand soll sich so unkontrolliert über den anderen erheben. Freie und geheime Wahlen sind ein anderes Gut, um so etwas zu verhindern. Es ist nicht biblisch begründet, dass unsere Leitenden in der Kirche nicht vom Volk gewählt werden, dass sie nicht kontrolliert werden und Frauen per se von Leitung ausgeschlossen werden. Das hat sich historisch in einer bestimmten Zeit so entwickelt und meiner Meinung nach ist es höchste Zeit sich davon zu trennen, um die befreiende Hoffnungsbotschaft dieses Jesus von Nazareth auch in unserer Gesellschaft wieder glaubhaft verkünden zu können und um Machtmissbrauch nachhaltig zu verhindern.
Daneben gilt es Kinder und Jugendliche stark zu machen. Ihnen beizubringen, dass sie auf ihre eigenen Gefühle vertrauen dürfen; ihnen beizubringen, dass sie Selbstwirksamkeit besitzen und sich zu Erfahrungen eigene Meinungen bilden dürfen. Nichts ist gefährlicher als zu lehren, dass es nur eine Wahrheit gibt und dass man religiösen oder politischen Führern ohne selber zu Denken folgen muss. „Ihr seid abgewichen vom Weg und habt viele zu Fall gebracht durch eure Belehrung; ihr habt den Bund Levis zunichte gemacht“ heißt es im Buch Maleachi. „Denn nur einer ist euer Lehrer, Jesus Christ“, sagt der Evangeliumstext. Gelehrt hat dieser Jesus Christus mit den Herrschenden kritisch umzugehen, sich gerade nicht anzupassen, sich nicht auf die ersten Plätze zu setzen, sondern mit Außenseitern, mit den Kleinen und Schwachen solidarisch zu sein. „Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Dieser Weg ist nicht immer angenehm, Jesus ist er sogar lebensgefährlich geworden, aber er könnte ein Weg echter Christusnachfolge werden.
Beatrix Hillermann