Jesus als Provokateur und ein Votum für „schräge Vögel“

Impuls zu Dtn 5,12-15 und Mk 2,23-3,6

anders (c) Peter Weidemann in Pfarrbriefservice.de
Von:
Regina Gutt

Haben Sie sich schon einmal provoziert gefühlt? Wenn jemand provoziert, will er damit gezielt eine Reaktion bei seinen Mitmenschen hervorrufen. Meistens sind Ärger, Wut und Zorn die Folge.  So auch in den heutigen Erzählungen. Markus stellt gleich zu Beginn seines Evangeliums den Konflikt Jesu mit den Pharisäern heraus um anzudeuten, dass Jesu radikaler Einsatz für die Gottes-und Nächstenliebe zu seinem Tod führen wird. Er provoziert die Gesetzeshüter aus guter Absicht heraus, denn ihm geht es um eine Einstellungsänderung. Nicht das formale Einhalten der Gesetze, sondern Gottes- und Nächstenliebe, das Wohl der Menschen schlechthin, sollen das oberste Ziel sein. 

Der Sabbat ist für die Juden ein Freudentag. Sabbat bedeutet das Ende der Woche und ist symbolisch der Ruhetag Gottes nach den sechs Schöpfungstagen. An dem Tag soll der Mensch König sein, sich dem Alltag entziehen und alles unterlassen, was auch an einem Werktag getan werden könnte.

Die Pharisäer wurden als die Frommen im Lande betrachtet, sie achteten zumeist auf die wörtliche Einhaltung des Sabbatgebotes und übersahen dabei die Bedürfnisse der Menschen. Jesus provoziert sie in beiden Erzählungen im positiven Sinn um zu zeigen, dass der Sabbat zum Wohl der Menschen gedacht ist und nicht umgekehrt.

So lässt er am Sabbat seine Jünger, als sie Hunger haben, Kornähren abpflücken und essen. Das stellt für die Pharisäer eine Herausforderung dar und so ist es folgerichtig, dass sie Jesus am Sabbat in der Synagoge beobachten, zumal ein Mann mit einer verdorrten Hand in der Synagoge ist. Sie überlegen nicht, wie dem Mann geholfen werden könnte, sondern suchen nach Anklagepunkten gegen ihn.  Es war ihnen bewusst, dass Jesus die Situation zum Heilen nutzen könnte.

Was ist unter einer verdorrten Hand zu verstehen?

Eine verdorrte Hand steht für eine allgemeine Einschränkung. Der Mann ist nur bedingt handlungsfähig und auf Hilfe angewiesen. Vielleicht hat er mit seiner Hand früher viel Gutes getan und ist enttäuscht worden, so dass er seine Hand nicht mehr nutzen konnte oder wollte. Vielleicht hat er mit der Hand auch einiges falsch gemacht und benutzt sie nicht mehr aus Angst vor einer Blamage. Wer eine verdorrte Hand hat, ist aus damaliger Sicht selber Schuld an seiner Situation. Was denken die Menschen über ihn?

Und Jesus? Er hätte entspannt in der Synagoge sitzen und die Heilung auf einen anderen Tag verschieben können. Er ist zornig, weil das Einhalten der Gesetze zu einer sinnentleerten Vorschrift geworden ist, während Mitmenschen unter unwürdigen Bedingungen wie Armut oder Krankheit leiden. Zorn kann zu entschlossenem Handeln führen. So lässt er den Mann mit der verdorrten Hand in die Mitte der Synagoge treten und macht sein Leiden für alle sichtbar. Allerdings lässt er sich nicht auf die Spielregeln der Pharisäer ein, sondern fragt nach dem tieferen Sinn des Sabbats. Hier werden die Pharisäer in die Enge getrieben, denn Jesus dreht den Spieß regelrecht um und zeigt, wo das eigentliche Problem liegt: Gesetzlichkeit anstelle des Wohles der Menschen. So provoziert er mit einer positiven Absicht und fordert den Mann auf, seine Hand auszustrecken. Er lässt sich sofort darauf ein. Erkennbar werden sein Vertrauen und die Bereitschaft, seine Situation verändern zu wollen. Damit war er geheilt und konnte seine Hand wieder nutzen und anderen Menschen helfen. 

Interessant ist hier, dass Jesus nicht über die Pharisäer triumphiert, sondern traurig über ihr Verhalten ist. Diese sind jedoch so verärgert, dass sie seinen Tod planen, um nicht ihre religiöse Ordnung zu gefährden.

Und die Zuschauer. Sie werden nach dem Besuch der Synagoge kontroverse Ansicht gehabt haben: Wer ist dieser Mann aus Nazareth?

 Ein Störenfried der religiösen Ordnung? Ein Rabbi mit einer neuen Gerechtigkeit? 

Und was sagt uns die Geschichte heute? Hier möchte ich drei Punkte anführen.

  1. Es geht um die Akzeptanz von Menschen mit Handycap. Es ist wichtig, ihnen unsere Wertschätzung zu zeigen und Berührungsängste überwinden. Wenn wir einander die Hände reichen, können wir gemeinsam Orte der Menschlichkeit schaffen.
  2. Auch lädt die Geschichte uns ein, das Leben zu wagen und etwas verändern zu wollen, wenn wir das Gefühl haben, etwas nicht geschafft zu haben oder enttäuscht worden zu sein. Wenn wir, wie der Mann in der Geschichte, unsere Anliegen sichtbar machen und Hände ausbreiten, werden diese auch angenommen und wir haben das Gefühl erfüllter zu leben.
  3. Steckt nicht auch in jedem von uns ein kleiner Pharisäer? In jeder Gesellschaft auch heute gibt es geschriebene Gesetze, Normen, Übereinkünfte. Sie bestimmen, was normal ist oder was man zu lassen hat. Wer gegen solche Regelungen verstößt, über den wird geredet oder er wird zum Außenseiter. Die Geschichten des Evangeliums ermutigen uns, Menschlichkeit über Normen zu stellen und erfüllter zu leben. Dazu gibt es ein schönes Zitat von Astrid Lindgren: Gesegnet sind alle schrägen Vögel, alle unangepassten, alle Schiefsinger und Falschtänzer. Sie bringen uns dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Möge uns das gelingen.