Als ich den Lesungstext zur Vorbereitung der Predigt heute las, schossen mir sofort Bilder von der Reise nach Israel letztes Jahr im Oktober durch den Kopf. Ich dachte an die Tage in Jerusalem, die noch ganz unbeschwert waren. Wir haben die quirlige, bunte Stadt genossen mit ihren vielen unterschiedlichen Menschen, die Wärme, den wunderbaren Garten des österreichischen Hospizes mitten in der Altstadt, wo wir gewohnt hatten.
Und dann kam der 07. Oktober, Bombenalarm, so etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gehört, Stunden im save room und von da an Angst. Das Ausmaß der Katastrophe habe ich erst wirklich begriffen als ich wieder im sicheren Zuhause war.
Auch das Buch Baruch schaut auf so eine Katastrophenzeit zurück. Das Volk Israel war in die Verbannung geführt worden und vermutlich wird das mit ähnlicher Brutalität und Zerstörung von statten gegangen sein wie der Überfall der Hamas auf Israel. Das Volk Israel damals fühlte sich durch den Untergang des Königreiches und durch die Verbannung gestraft, auch von Gott gestraft.
Manchmal begegnet mir diese Idee, Gott ist für mein Unheil verantwortlich oder „ich fühle mich von Gott gestraft“ auch in meiner Arbeit. Auf unterschiedliche Art und Weise erleben Menschen auch heute Verbannung. Da bekommt jemand eine lebensverkürzende Diagnose oder ein lieber Angehöriger stirbt, beides führt in die Verbannung der Trauer. Ich erlebe Menschen mit psychischen Erkrankungen, gefangen, verbannt in sich selbst. Oder all die, die von den vielen Anforderungen des Lebens in Beruf und Familie ausgebrannt und fern von sich selber sind. Schließlich all die, die sich mit Konflikten und gegenseitigen Schuldzuweisungen das Leben schwer machen – gefangen, verbannt im Konflikt. Das erleben wir im Moment in vielen Teilen der Welt und psychisch kranke Despoten, die selbst in scheinbar demokratischen Staaten an die Macht gewählt werden, können einem schon wirklich Angst machen.
In all diese Ängste, in all unsere Verbannungen spricht dieser Text. „Leg ab Jerusalem das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht.“ Und dann wird mit wunderschönen Bilder nach dem Verständnis der damaligen Zeit erläutert, wie Gott sein Volk heim in die Freude führt und die ganze wunderbare Natur sorgt dafür, dass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahin ziehen kann.
Ich finde diese starken, kraftvollen Bilder der Zuversicht auch in den heutigen Bedrohungen hilfreich und unterstützend. Mein Gottesbild geht auch nicht von einem Gott aus, der straft, sondern von einem Gott, der immer in allem an unserer Seite ist. Der Bibeltext bleibt keine Illusion, sondern er gibt mit wenigen Wörtern Perspektive, wie der Weg in eine Zukunft, von Gottes Herrlichkeit geprägt, aussehen kann. Es geht um Gerechtigkeit, es geht um Frieden der Gerechtigkeit und um die Herrlichkeit der Gottesfurcht. D.h. alle Ideologien, die auf die Zerstörung des Gegenübers bauen, sind sicher nicht von Gottesfurcht geprägt. Es geht immer um Ausgleich. Es geht um Gerechtigkeit. Jede/jeder muss Lebensraum haben, auch die Palästinenser in Israel und die Flüchtlinge, die in das reiche Amerika oder Europa kommen. Es geht um Gerechtigkeit und um Frieden. Das ist oft schwer, weil wir alle unsere Verletzungen mit uns tragen, die dazu führen, dass wir ungerecht, unfriedlich und oft wenig gottesfürchtig, d.h. orientiert an Gottes Botschaft leben.
Johannes, der Täufer, hat sich mit ganzer Kraft dafür eingesetzt, seinem Herrn den Weg zu bereiten. Was krumm ist, soll gerade und was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Wir wissen, dass auch das Leben von Johannes nicht gut ausgegangen ist in unserem Sinn. Bis zum Schluss blieb er seiner Überzeugung treu ähnlich wie z.B. der russische Dissident Nawalny heute und verlor sein Leben an eine Despotenfamilie. Aber seine Zuversicht, sein Glaube, seine Predigt wirken bis heute. Was krumm ist soll gerade, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.
Immer wieder gibt diese Botschaft Menschen Kraft, sich für das Gute einzusetzen, für Frieden, Gerechtigkeit und für ein gottesfürchtiges Leben, d.h. für ein Leben, was immer auch die Bedürfnisse des anderen mitdenkt. Ich hoffe und glaube, dass diese Kraft in der Welt nie ganz aufhört, so dass die Despoten, Egoisten und Narzissten nicht das letzte Wort haben und in Jerusalem das Kleid der Trauer wieder abgelegt werden kann, die Gefangenen heimkehren und eine neue Zeit der Zusammenarbeit unter den Völkern anbricht.