Ich betrete einen Friedhof.
Fremde Gräber und wohlbekannte Gräber.
Fremde und allzu gut bekannte Namen.
Gesichter.
Geschichten.
Erinnerungen.
Lebensdramen.
Schicksalsfügungen.
Immer, wenn ich einen Friedhof betrete, verändert sich mein Schritt.
Sonderbar – und wohlverständlich. Dies ist kein Ort wie andere.
Ich betrete schweren, heiligen Boden.
Ich sehe: Kreuze, Figuren, Symbole und Texte auf Grabsteinen, Blumen und Kerzen,
Auf den Grabsteinen letzte Botschaften:
Die Liebe hört nimmer auf … Und: Nie werden wir dich vergessen
Und: Du lebst weiter in unseren Herzen.
Und: Mein Hirt ist Gott der Herr …
Was werden sie über mich sagen nach meinem Tod?
Was wird auf meinem Grabstein zu lesen sein?
Wird es überhaupt einen Grabstein geben?
Ich stehe auch vor einem Wiesengräberfeld.
Der Wind treibt einige Blätter über die karge Wiese. Hier und da eine verlorene Blume.
Ich gehe zu den bekannten Gräbern…
Zum Grab der Großmutter.
Die Gute, sie hat mir vom Leben und vom Glauben glaubhaft gesungen. Sie war eine Lebenskluge. Das liebte ich an ihr.
„Wie geht’s dir heute?“ – Ihre Frage dringt durch Raum und Vergangenheit bis in meine Gegenwart.
Zum Grab des Onkels. Ich war noch nie da.
„Du hast kein stilles Leben geführt; es auch mit einem Knall beendet. Ist dir das Leben zu laut geworden?“, frag ich leise.
Und dort – die Nachbarin, einsam und verhärmt ist sie von dieser Welt gegangen. Ich hab sie nie lachen gesehen. Das Leben – ein einziger Kampf ums Überleben? Was kann ich tun, damit ich nicht so ende wie sie?
Und hier – der Kumpel und Kollege, viel zu früh gegangen. Gekämpft hat er – Chemotherapie, Uniklinik bis zum Schluss – da sind doch auch Frau und Kinder.
Friedhof – so viel Erdenschwere, so viel Tränen, so viel Not und Traurigkeit – aber auch so viel Himmel.
So viel offenen Himmel wie auf einem Friedhof habe ich noch nirgends sonst gesehen.
(Quelle unbekannt)