Effata – Öffne dich!!

Impuls zu Jes 35,4-7a und Mk 7,31-37

offene Hände (c) Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de
Von:
Beatrix Hillermann

Kennen sie solche Situationen, sie stehen vor jemanden und erreichen ihn nicht? Egal was sie reden, fragen, tun, der oder die andere ist unerreichbar, versteht sie nicht, reagiert nicht, wird ärgerlich oder hört gar nicht zu. Das kann der Partner/die Partnerin sein, nicht so selten die Kinder oder auch Freunde, Kollegen, Nachbarn, jemand, der politisch anders denkt.

Jesus ist im Grenzgebiet des heutigen Syrien und Jordanien unterwegs. Es eilt ihm ein Ruf voraus. Er ist als der Heiler bekannt, als der, der sich zuwendet. Und plötzlich steht da so jemand vor ihm, jemand, den die anderen nicht erreichen. Medizinisch würde er als taubstumm bezeichnet, aber die Heilungsgeschichten im Evangelium sind keine medizinischen Wundergeschichten, sondern sie gehen in ihren Aussagen viel tiefer. Vermutlich war das ein Mensch, der verletzt war, Angst hatte, vielleicht eine Persönlichkeitsstörung hatte (Narzissten sind extrem schwer von anderen zu erreichen). Wir wissen es nicht. Wissen tun wir, dass das Evangelium schreibt „er war taub und stammelte“, d.h. er verstand die Menschen nicht, konnte sich aber auch selber nicht verständlich machen.

Was macht Jesus in dieser unerwarteten Begegnung? Zuerst einmal nahm er ihn beiseite. Schwierige Dinge sind nicht vor Publikum zu besprechen, sich jemanden anvertrauen kann man nicht auf der Bühne. Auch bei uns heute werden schwierige diplomatische Vereinbarungen (denken sie an den Gefangenenaustausch mit Russland) im Stillen und Geheimen vereinbart. Ärzte, Therapeuten und Seelsorgende haben Schweigepflicht, weil sonst kein Vertrauen entstehen kann. Schwierige Konfliktgespräche werden oft unter vier Augen geführt. Jede Seite muss das Gesicht wahren können. Genauso handelt Jesus hier auch. Er nahm ihn von der Menge weg.

Was dann passiert erschließt sich uns nicht ganz „er legt ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel“ Was für ein merkwürdiger, eher unappetitlicher Zauberritus soll das sein?

Die evangelische Kollegin Sabine Handrick deutet in einer Im Netz veröffentlichten Predigt, die Stelle folgendermaßen:

„Ich vermute:“, schreibt sie, „Da die Körperlichkeit dieser Szene missverständlich ist und Anstoss erregen könnte, verwendet der Evangelist abschwächende Worte. Er vermeidet zu sagen, was ganz natürlich wäre. Wenn wir Menschen einander unsere innige Zuneigung zeigen, küssen wir uns. Ein Kuss gehört selbstverständlich zur Körpersprache der Liebe. Ich kann nur jemanden wirklich küssen, dem ich mich nah und verbunden fühle. Das gilt für Liebespaare wie für Familienangehörige und Freunde.“……..

„Könnt Ihr es euch bildlich vorstellen?“ schreibt sie weiter „Jesus hat den Kopf des andern in den Händen und gibt ihm einen Kuss auf die Lippen, sicher und handfest, ohne Zweifel, energisch, wie unter Brüdern. In diesem Moment beginnt die Heilung. Der Gehörlose öffnet sich und lässt sich diese Behandlung gefallen. Es ist ein Augenblick völligen Verstehens und bedingungsloser Zuneigung.“ So weit die Deutung von Sabine Handrick (https://www.theologie.uzh.ch/predigten/markus-7-31-37-koerpersprache/)

Ich war überrascht als ich das las, fand es aber auch nicht so ganz von der Hand zu weisen und musste an meine pubertierenden Töchter denken, die damals zum Thema „Küssen“ mit einer gewissen Abwehr von Spucke tauschen sprachen.

Nun, wie dem auch sei, vielleicht hilft uns auch hier eine Deutung weiter. Ich denke, man kann sicher sagen, dass Jesus sich dem taubstummen Mann mit ganzer Zuneigung, mit Mitgefühl und Wertschätzung und auch mit Körperkontakt genähert hat. In meiner langjährigen begleitenden, manchmal therapeutischen Arbeit, mache ich immer wieder die Erfahrung. Heilung beginnt durch Zuwendung. Da, wo ich mich ganz und gar zuwende, wo ich zuhöre, versuche zu verstehen, wo ich Wertschätzung für den anderen signalisiere und Verständnis, da beginnt Heilung. Belehrung oder womöglich Tadel heilen gar nichts. Ich merke, dass ich das oft nicht schaffe. In meiner Partnerschaft habe ich eigene Bedürfnisse und wenn die meines Mannes in eine ganz andere Richtung laufen, ist es mit meinem Verständnis oft schnell vorbei. Bei meinen Kindern treiben mich immer wieder Ängste um, dass ihnen was zustößt oder, dass sie sich mit ihrem Handeln unglücklich machen. Auch das ist keine gute Grundlage für Verständnis und bedingungslose Zuwendung. Selbst bei Klienten, zu denen es ja erst einmal einen guten emotionalen Abstand gibt, kenne ich Situationen, in denen ich genervt bin, da wo jemand so mit seinen alten Wunden verhaftet ist, dass er/sie gar nicht in eine Entwicklungsbewegung kommt, da, wo Menschen hohe depressive Anteile haben und ganz viel jammern müssen. Da muss ich dann oft viel Kraft investieren, um wertschätzend und verstehend zu bleiben.

Vermutlich läuft genau da ein Unterschied zwischen dem Menschen Jesus, der so von Gottes Kraft erfüllt war, dass wir ihn selbst Gott nennen und uns, die wir mehr oder weniger normale Menschen sind. Jesus konnte sich zuwenden ohne Angst, ohne eigene Bedürfnisse im Vordergrund, ohne Ansprüche, aber mit ganz viel Geduld, Liebe und Hingabe. Uns wird das nur anfanghaft gelingen, aber je mehr uns das gelingt, wirklich auf den anderen zu hören, ihn zu sehen, seine Bedürfnisse ernst zu nehmen und ihm mit Liebe und Wertschätzung zu begegnen, desto mehr können wir unsere Welt in Richtung der Jesaja Vision gestalten, die wir in der Lesung gehört haben. Nicht, dass sie mich falsch verstehen. Es geht nicht um bedingungslose Nächstenliebe und alles nur für den anderen, wie das früher fälschlicherweise ausgelegt wurde. Es geht darum, seine eigenen Wunden, seine eigenen Bedürfnisse, seine Grenzen und seine eigenen Quellen, die einen nähren, gut zu kennen. Je mehr ich mit mir selber im Einklang lebe, desto besser kann ich wirklich hören auf das, worum es im Leben geht und damit kann Heilung beim einzelnen und in dieser Welt beginnen.