Aus schwarz wird wieder bunt

Erinnerungen helfen uns, den Verlust geliebter Menschen zu verarbeiten, berichten Fachleute

Erinnerungen (c) Andrea Thomas
Von:
Andrea Thomas
Erinnerungen sind kleine Schätze, Momentaufnahmen, in denen die Menschen, die uns etwas bedeutet haben, lebendig sind. In den glücklichen, die uns ein Lächeln aufs Gesicht malen, ebenso wie in den schmerzlichen, traurigen, die uns das Herz schwer machen.

 „Stirbt ein naher, vertrauter Mensch – Kind oder Erwachsener – dann geht eine einzigartige, persönliche Welt unter. Das macht Angehörige traurig und tut ihnen weh“, sagt Ulrich Roth. Er arbeitet seit 1985 für das Bistum Aachen, ist Klinik- und Psychiatrieseelsorger am Aachener Universitätsklinikum und in der ambulanten Psychiatrieseelsorge Aachen tätig. Die Auseinandersetzung mit Trauer und was sie mit Menschen macht, ist ein zentrales Thema, das seine Arbeit prägt. „Ist das normal oder bin ich reif für die Psychiatrie?“, werde er oft gefragt. „Trauer unterliegt keinem inhaltlichen und keinem zeitlichen Regelwerk.“

 

Jeder trauernde Mensch, jede Situation  ist anders

Trauer sei so individuell wie die Liebe. „Menschen können sich verlieben, sie können auch vertrauert sein. Frisch Verliebte können sehr anstrengend sein, Vertrauerte auch. Beide Gefühle gehören zu denen, die bei uns Menschen die größte Betroffenheit auslösen.“ Trauer überfordert uns, die eigene und auch die von Menschen in unserem Umfeld. Wir wissen nicht, wie wir mit ihr umgehen sollen. Das erleben die Menschen, die Trauernde begleiten, immer wieder. „Das ist jetzt ein Jahr her, jetzt ist auch mal gut.“ Den Satz bekommt Gabriele Krumbach häufiger von Trauernden widergespiegelt, wenn nahe Angehörige, beispielsweise die Kinder, die ja selbst mit dem Verlust zurechtkommen müssen, sich wünschen, dass Mutter oder Vater nach dem Verlust des Partners wieder ins „normale“ Leben zurückfinden. Gabriele Krumbach ist Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes der Aachener Caritasdienste der Region Aachen, der auch Trauerbegleitung anbietet, sowohl über Gesprächskreise als auch als Einzelbegleitung.

Trauern sei nun einmal etwas sehr Persönliches und folge keinem Zeitplan. „Trauer ist keine Treppe, in der man eine Stufe nach der anderen nimmt, sie geht in Schleifen, mal hoch, mal runter“, beschreibt sie. Jeder müsse für sich erkennen lernen, „dass das normal ist, dass das meine Trauer ist und dass das in Ordnung ist“. Das Gespräch mit anderen, sei es in einem Trauergesprächskreis mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, oder mit einer Trauerbegleitung, kann dabei helfen. „Wichtig ist, dass da jemand ist, der die Trauer mit einem teilt“, sagt auch Pfarrer Anton Straeten, Diözesaner Beauftragter für Trauerpastoral im Bistum Aachen.

 

Am Anfang überwiegt der graue Trauernebel

Eine „Brücke“ dabei sind die Erinnerungen, die wir mit dem Menschen, den wir verloren haben, verbinden. „Im Trauercafé arbeiten wir viel mit Dingen, an die Erinnerungen geknüpft sind, wie ein Plüschtier, das Handy des Verstorbenen, etwas, das mit seinem Hobby zu tun hat. Darüber gelingt es dann, ins Gespräch zu kommen“, erzählt Gabriele Krumbach. Bei einer Einzelbegleitung könne zum Beispiel ein Foto, das auf dem Schrank steht, der Ausgangspunkt sein oder eine Urlaubserinnerung.

In der ersten Zeit nach einem Verlust seien vor allem die dunklen Erinnerungen an die letzten Tage, Wochen und Monate präsent: Die Zeit der Krankheit, das Krankenhaus, die Intensivstation, der Unfall, der Suizid, die Beisetzung. Über allem liege ein Nebel aus Trauer, beschreibt es Ulrich Roth. Doch: „Das tote Kind, der tote Erwachsene – das waren aber nicht nur die vergangenen Monate, Wochen und Tage. Sein Leiden, sein Tod ist ein Teil seines Lebens, ein Ausschnitt, ein Stück aus dem großen und ganzen Leben, unabhängig von der Zeit, die das Leben dauerte.“ So heißt Trauerarbeit auch, die positiven, glücklichen Erinnerungen wieder für sich zu entdecken. Solche, die schön und schmerzlich zugleich seien, sagt Pfarrer Straeten. „Schmerzlich, weil sie uns an den Menschen erinnern, der nicht mehr da ist. Schön, weil es tröstet, sich an ihn zu erinnern.“ Der Gedanke an die Dinge, die man gemeinsam erlebt habe, wie eine tolle Reise, das stärke auch, weiß Gabriele Krumbach aus ihrer Erfahrung in der Trauerbegleitung. Werde das den Hinterbliebenen klar, heiße es dann oft: „Sie haben ja recht, das ist ein großer Schatz.“

 

Rahmen für eigene Erinnerungsbilder

Gemeinsam mit Mechthild Hüsch (Text) und Heinrich Hüsch (Illustration) entwickelte Ulrich Roth ein Buch zum Thema „Leben, Trauer und heilsame Erinnerungen“: „Unter dem Schatten die Farben“. Vor ein paar Jahren haben sie bereits gemeinsam „Da spricht man nicht drüber. Wie Jakob den Suizid seines Vaters erlebt“ geschrieben, das helfen soll, mit einem Suizid im näheren Umfeld, Familie, Freunde, Schule usw. umzugehen. Das neue Buch nun will dazu beitragen, die Sprachlosigkeit zu überwinden, die Trauer in uns auslöst, sei es die eigene oder die von Menschen in unserem Umfeld. „Wir wollten keine Geschichte mit pädagogischem Touch, sondern ein offenes Konzept, in das sich jeder einklinken kann“, beschreibt Mechthild Hüsch.

Die Botschaft „Das wird schon wieder“ sei ihnen zu platt erschienen, übergriffig und respektlos gegenüber den Trauernden. So ist die Idee von leeren Bilderrahmen in verschiedenen Farben entstanden, von schwarzen und solchen in Grautönen, in die sich ganz sachte farbige Einsprengsel mischen bis zu Rahmen in leuchtenden Farben. Dazu haben die Herausgeber bewusst nur wenig Text gestellt. Jeder soll die Seiten beim Durchblättern selbst mit seinen Gedanken, Erinnerungen und Assoziationen füllen können.

 

Geländer in Zeiten der Trauer

Längere Texte kommen erst am Ende, Begleitworte von Ulrich Roth und Klaus Hollmann, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule NRW in Paderborn. „Wie Verluste uns treffen und schädigen, wie Trauer sich anfühlt, was sie bei uns anrichtet, aber auch ausrichtet, wie sie das Leben verändert, aber eben auch der Nährboden sein kann für neues und tieferes Leben, das ist das Thema dieses Buches“, fasst Hollmann zusammen. Momente des Gedenkens und der Erinnerung bieten auch die Trauerrituale, die in den Traditionen der Kirche verankert sind: die Gottesdienste zum Sechswochenamt oder zum Jahrgedächtnis oder das Gebet am Grab an Allerseelen. Sie können ein Geländer sein in dieser Zeit. Die dunklen Farben der Trauer lassen sich immer wieder neu wandeln: „Blau atmet, rot glüht und gelb lacht.“

Mehr Informationen zum Buch unter www.huesch.de.