Was willst du, dass ich dir tue?

Evangelium: Mk 10, 46-52

blind (c) Bild: Peter Weidemann In: Pfarrbriefservice.de
Von:
Beatrix Hillermann

Einführung: Wie Jesus die Liebe zu den Menschen gelebt hat, erzählen viele Geschichten in der Bibel. Eine dieser Geschichten ist die Heilung eines Blinden bei Jericho: 

46 Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß am Weg ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. (Folie 8 schreiender Bartimäus) 47 Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! 48 Viele befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! (Bild 9 Jesus bleibt stehen) 49 Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. 50 Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. (Bild 10 Jesus und Bartimäus) 51 Und Jesus fragte ihn: Was willst du, dass ich dir tue? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte sehen können.[2] 52 Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dich gerettet. Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. 

 

Predigt zu MK 10,46-52     10 Jahre Elisabeth Café

Vermutlich kennen Sie alle den Ausdruck, jemand ist blind vor Wut. Aber auch in der Trauer gibt es Phasen, wo Menschen blind sind vor Trauer. Ich erinnere mich an Frau F., die im Trauergesprächskreis immer und immer wieder erzählte, wo ihr Mann ihr überall fehlt, sich alleine durch die Behördendinge quälen, alleine zu Freunden gehen, alleine vor defekten Lampen oder der kaputten Waschmaschine zu stehen. 

Irgendwann im Laufe des Gesprächskreises kam dann die Erkenntnis: Na, eigentlich musste ich früher auch ganz viel alleine machen. Mein Mann war so in Beschlag genommen von seiner Arbeit, dass ich das allermeiste alleine geregelt habe.  Frau F. bekam langsam wieder Kontakt zu ihren eigenen Kräften. Nach und nach konnte sie überlegen, wen sie für bestimmte Aufgaben als Hilfe brauchte. Ihr fiel wieder ein, dass sie auch früher schon Renovierungen im Haus mit Freunden besprochen hatte, weil ihr Mann kaum Zeit hatte. Sie bekam auch wieder Kontakt zu Dingen, die ihr gut taten -  eine Wanderung mit einer Freundin, das Lesen eines spannenden Buches, das Singen im Chor. Es war ungefähr so wie bei Bartimäus auf unserem Bild, die Binde auf den Augen war abgefallen. Der Blick auf die Welt war nicht mehr nur verdunkelt, sondern er bekam wieder Farbe. 

Frau F. hatte sich aufgemacht in den Trauergesprächskreis und auch Bartimäus hat sich nicht einfach in sein Schicksal gefügt. Aus Leibeskräften schreit er: „Sohn Davids hab Erbarmen mit mir“, heißt das in der Sprache der Bibel. Bartimäus war klar, er kann seine Situation nicht alleine lösen und dieser Jesus war bekannt als jemand, an dem man wachsen konnte, an dem und mit dem man seine Blindheit, seine Taubheit, sein Gelähmtsein ablegen konnte. Aber Voraussetzung für Bartimäus ist, er muss um Hilfe rufen und er muss wirklich bereit sein aus seiner alten Bettlerrolle rausgehen zu wollen. Manchmal sind die alten Rollen, auch sogar die Leidensrollen bequem, weil sie vertraut sind. Sich auf Neues, auf anderes einlassen, ist oft nicht leicht und es gilt dieses Neue immer und immer wieder zu probieren.  Jesus versucht es Bartimäus so leicht wie möglich zu machen. Er sagt nicht: „tue dieses oder jenes“ Er sagt nicht, „dass sind die dogmatischen Vorschriften für Heilungen“  Er sagt auch nicht: „du musst einfach nur deinen Blindenschal abnehmen“

Jesus wendet sich zu, er nimmt Bartimäus wahr. Er nimmt ihn wahr mit all seiner Belastung, mit seiner Unfähigkeit, mit seinem Blindsein und dann sagt er in dieser Zuwendung den einen Satz „Was willst du, dass ich dir tue?“ Was willst du, dass ich dir tue? Jesus entlässt den Blinden nicht aus seiner Verantwortung.  Er schreibt ihm nicht vor, wie seine Heilung zu gehen hat. Er fragt ihn, was brauchst du?  Was ist für dich der nächste Schritt? Wobei kann ich dich begleiten? Und genau in dieser Kombination entsteht Heilung: Bartimäus will sehen und das sagt er sehr deutlich. Er wird von Jesus wahrgenommen in seinem Wunsch, aber auch mit seiner Unfähigkeit, mit seinen Grenzen, mit all dem Schmerz, mit all der Belastung.  Und dann die Frage „Was brauchst du?“ So beginnt etwas zu geschehen zwischen den beiden, zwischen Jesus und Bartimäus. Der Soziologe Hartmut Rosa aus Jena nennt das Resonanz. Er erforscht in seiner Arbeit, wie sehr wir Menschen auf eben jene Resonanz angewiesen sind. Resonanzerfahrungen beschreibt er als Erfahrungen, die uns Menschen in der Tiefe berühren. Jesus löst solche Resonanzerfahrungen aus. Die Menschen, die ihm begegnen, sind berührt, von der Liebe, die er ausstrahlt, von der Zuwendung, die er gibt. Oft sind sie so tief berührt, dass sie ihr Leben ändern können. So wie Bartimäus, der lernt wieder zu sehen. 

So wie ich die Arbeit im Elisabeth Café erlebe, ist es das, worum wir uns bemühen. Da sein, zuhören, mitbekommen, was brauchst du? Wir tun das natürlich mit unseren ganz persönlichen Grenzen (niemand von uns ist Jesus) und doch ist es mir und ich denke, ich spreche da auch für alle Ehrenamtlichen, ist es uns ein großes Anliegen, den Menschen so zu begegnen. Seit 10 Jahren gibt es diesen Begegnungsraum, eine Möglichkeit erste Ansprechpartnerinnen in der Trauer zu finden und dann vielleicht zu schauen, was brauche ich sonst noch aus dem Angebot des Mönchengladbacher Trauernetzes. Vielen tun die Spaziergänge des Caritas Hospizdienstes gut oder ein strukturierter Trauergesprächskreis, um sich noch besser verstehen zu lernen oder eine Einzelbegleitung. Wir können und wollen den Trauernden ihre Eigenverantwortung nicht abnehmen, aber wir wollen, inspiriert von der Haltung Jesu, für die Trauernden die Arme öffnen, oder hier besser die Ohren öffnen und die Kaffeetassen füllen.  Und dann kann es vielleicht mit und mit möglich werden, dass Menschen wieder sehen lernen in ihrer Trauer: die Freundin, die mitgeht; die Schönheit der Musik; die Kraft der Wellen am Strand – Resonanzerfahrungen, die das Leben wieder lebendig machen.

(Beatrix Hillermann)